Wie kommt man nun also zum Schreiben?

Wie kommt man nun also zum Schreiben?

Tja, weiß ich eigentlich auch nicht so genau. Ich könnte höchstens erzählen, wie es mir passiert ist.

Wie kommt man zum Schreiben? Das interessiert vielleicht diejenigen unter uns, die Autorin bzw. Autor werden wollen.

Wie kommt man nun also zum Schreiben? Tja, weiß ich eigentlich auch nicht so genau. Ich könnte höchstens erzählen, wie es mir passiert ist.

Ich kann mich daran erinnern, dass ich zum 6. oder 7. Geburtstag von meiner Mutter, einer überzeugten und praktizierenden Vielleserin, ein Buch geschenkt bekam; es war von Enid Blyton und trug den Titel: “Irgendetwas stimmt hier nicht!” Ich hatte mir bisher nur Comics zu Gemüte geführt; entsprechend groß war meine Enttäuschung, als ich nirgends im Buch Bilder fand. Daher flog das Buch zunächst einmal in die Ecke und musste meine Missachtung erdulden.

Nach einiger Zeit nahm ich es doch wieder zur Hand, zunächst unschlüssig, was mit so einem merkwürdigen und langweiligen Ding zu tun sei. Irgendwann begann ich die ersten Zeilen zu lesen, fühlte mich unverstanden und überfordert und legte es wieder weg. Der Inhalt der gelesenen Zeilen blieb mir jedoch im Sinn; da war etwas mit Kindern, die eine Geschichte erlebten, und irgendwann wollte ich wissen, wie das Ganze weitergehen würde. Und schließlich dämmerte mir die Erkenntnis, dass in diesem Buch durchaus Bilder enthalten waren für denjenigen, der sie zu entdecken weiß.

Das war der Anfang.

Vielleicht der Anfang vom Verhängnis. Man denke nur an Jack London, der den Seewolf Wolf Larsen zu Humphrey van Weyden sagen lässt: “Mein größter Fehler war es, dass ich je ein Buch in die Hand nahm.” So oder ähnlich! Vielleicht der Anfang der Bestimmung? Mag sein! Heute betrachte ich Bücher jedenfalls als Freunde. Als zuverlässige Freunde, die einen nicht im Stich lassen.

Ich las dann mein erstes Buch ganz durch, las weitere, zum Beispiel “Käpt´n Bontekoes Schiffsjungen” von J. Fabricius, wechselte dann aber bald zur Literatur für Erwachsene. Auch da erlebte ich Enttäuschungen und Rätselhaftes. Ich weiß noch ganz genau, wie ich begann, Bram Stokers „Dracula“ zu lesen und mich fragte, wann denn endlich die Handlung beginnen würde; was sollten denn die ganzen Tagebuchauszüge und Briefe und Zeitungsartikel? Wen interessierte denn so etwas? Und dann dämmerte mir irgendwann die nächste Einsicht, nämlich dass es viele Wege gibt, eine Geschichte zu erzählen.

Nach einiger Zeit hatte ich meine ersten Lieblingsbücher, die ich ein zweites und drittes Mal las. Dann begann ich in Gedanken die Handlung dieser Lieblingsbücher abzuändern oder zumindest anders zu erzählen. Und schließlich begann ich, eigene Geschichten zu erfinden und aufzuschreiben. Das waren zunächst Kurzgeschichten. Ich hatte von Anfang an ein sehr großes, ein riesiges Publikum: Meine Frau hörte immer gern und geduldig zu.

Bei dieser Tätigkeit stand mir mein bürgerlicher Beruf stets im Wege. Meine Eltern hatten beschlossen, dass ihr einziger und damit auch bester und schlechtester Abkömmling den Familienberuf des Bankkaufmannes zu erlernen hatte. In der Rückschau kann ich nur sagen, dass ich Recht hatte, als ich behauptete, ich sei für diesen Beruf völlig ungeeignet. Schade nur, dass sich meine Eltern, insbesondere mein Vater, nie für meine Meinung interessierten. Mittlerweile habe ich jedoch aus Gründen der Gesundheit und des Alters diese Existenz hinter mir gelassen und konzentriere mich auf mein Dasein als Bohèmien.

Ich bin häufig gefragt worden, wieso ich meine Karriere als Schriftsteller ausgerechnet mit Jugendbüchern begann. Hier war der Zufall am Werk. In einer Nacht, die sehr stürmisch, verregnet und laut war – da der Wind am Dach, den Gauben und den Rollläden zerrte und riss – fanden meine Frau und ich keinen Schlaf. Ich kam auf die Idee, für uns beide eine Gute-Nacht-Geschichte zu erfinden. Und so erzählte ich meiner Frau von einem kleinen Mädchen namens Tina, die den Regenmann kennenlernt. Für diese Idee hatte natürlich das Wetter Pate gestanden. Jedenfalls war der Erfolg, dass meine Frau einschlief und ich immer noch wach lag.
Am nächsten Tag meinte sie, ich solle die Geschichte doch aufschreiben, sie sei so schön. Ich tat es. Im Familienkreise las ich sie vor, und jemand meinte, ich solle das Ganze ausarbeiten, daraus könnte ich doch mehr machen. Ich tat auch das. Und so wurde daraus ein Manuskript stolzen Umfanges, für das ich einen Verlag suchte. Jeder, der schon mal auf Autorenfüßen unterwegs war, kennt das Gefühl, wenn die Absagen eintrudeln. Noch mieser ist das Gefühl, wenn es einem dämmert, dass man gar keine Antwort bekommen wird. Unbeschreiblich ist der Triumph, wenn ein Verlag Interesse signalisiert. Mein erstes Buch erschien bei Dressler in Hamburg und hieß: “Das Haus der Türen”. Das war der Auftakt der Herbstlandtrilogie.

Es war auch der Auftakt meiner Karriere als Schriftsteller, als Autor, als kleiner Schreiberling, wie immer man das nennen mag. Und ich begann wieder dazuzulernen. Die Lektorin des Dressler-Verlages, der mein Manuskript gefiel, hatte viele Änderungswünsche. Sie lud mich ein, nach Hamburg zu kommen. Selbstverständlich nahm ich die Einladung gern an. Meine Frau tat mir den Gefallen, mich zu begleiten. Sie ist der beste Co-Pilot, Kartenleser und Navigator, den man sich denken kann. Und während die Lektorin und ich einen ganzen Tag – von der Mittagspause einmal abgesehen – über meinem Manuskript die Köpfe zusammensteckten, las meine Frau Jugendbücher des Dressler-Verlages.

Ich schrieb dann meine Geschichte um und reichte sie erneut ein. Beispielsweise musste die Protagonistin von Tina in Lisa umgetauft werden. Ein paar Dinge, die ich für witzig hielt, mussten weg, da sie nach Meinung der Lektorin für Kinder unverständlich seien. Das hatte auch zur Folge, dass ein Nebendarsteller vorläufig entfallen musste. Nun war die Lektorin – von ein paar kleinen Fehlerchen – sehr zufrieden und einverstanden.

Dann kam eine weitere Sache, die mir Zahnschmerzen machte. Nachdem nun die Lektorin in einer verlagsinternen Konferenz meine Geschichte vorstellte machte die Geschäftsleitung Probleme. Man vertrat die Auffassung, dass man bereits eine am Markt etablierte Autorin habe, die Fantasy für Jugendliche schreibe, also was sollte man mit einem völlig unbekannten Herbert Osenger anfangen? Die Lektorin hatte zum Glück Einfluss auf die Chefs. Es war die Woche vor Ostern. Die Lektorin setzte durch, dass die Herrschaften von der Geschäftsleitung mein Manuskript als Fotokopie über die Ostertage mitzunehmen hatten. Da hatte ich denen also ein schönes Osterei ins Nest gelegt. Und das Wunder geschah: Nach Ostern war die Geschäftsleitung vom Herbert-Osenger-Virus infiziert und das Buch wurde angenommen.

Wer nun glaubt, dass meine Arbeit an dieser Sache erledigt gewesen wäre, der irrt. Ich bekam nach einiger Zeit das überarbeitete Manuskript zugesandt, das ich abzuändern hatte. Also letzte, noch verbliebene Fehler korrigieren, in erster Linie aber sprachliche Änderungen vornehmen, d. h. “unrunde” Formulierungen verbessern. Dann reichte ich den Text wieder ein und dazu noch eine Diskette mit der nun lektorierten Geschichte (denn damals war man mit der Technik noch nicht weiter). Man ahnt es schon: Als nächstes erhielt ich die Druckfahnen; die sehen aus wie das Innere eines aufgeschlagenen Buches, aber sie sind noch nicht gebunden, sondern eine Lose-Blatt-Sammlung. Ich begab mich wieder auf Fehlersuche. Und danach, endlich, war meine Arbeit als Autor getan.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, als ich dann eines Tages von der Lektorin das erste Exemplar zugesandt bekam. Das Öffnen des Pappkartons, das Entnehmen des Buches, auf dem der eigene Name steht. Ich weiß noch, dass ich dieses Erlebnis im Jahr 2003 hatte.
Es folgten dann noch drei weitere Bücher in Zusammenarbeit mit dem Dressler-Verlag. Dem ersten Band „Haus der Türen“ folgten „Adragars Rache“ und „Der goldene Tunnel“. Fertig war die Herbstlandtrilogie. Das vierte und letzte Buch war die „Expedition Nachtland“.
Fanden Sie diesen Abschnitt lang und langweilig? Kann ich verstehen, denn obwohl es um meine Bücher ging, wurde mir die Sache auch fast schon langweilig. Sie benötigen als Autor nicht nur Phantasie und Eloquenz, Sie brauchen wenigstens genau so dringend einen sehr langen Atem. Glauben Sie mir, ich weiß schließlich, wovon ich rede bzw. schreibe.
Ich musste weiter lernen, und es wurde schmerzhaft. Im Kopf wusste ich natürlich von Anfang an, dass Verlage Wirtschaftsunternehmen sind, deren Tun auf Ertragsoptimierung ausgelegt ist. Ich erfuhr diese Tatsache auch mit dem Herzen, als meine Bücher mangels weiterhin guter Absatzzahlen aus dem Verlagsprogramm genommen wurden und die Leute von Dressler die Zusammenarbeit beendeten. Man wird als Autor fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel, wenn die Verlage an einem kein Geld mehr verdienen können. Das ist jetzt gewiss unfreundlich und knochenhart ausgedrückt, aber wer so handelt, muss auch das Echo vertragen können.
Es gibt Ausnahmen: Ich stieß auf den AAVAA-Verlag, der weiterhin Texte von mir veröffentlichte. Dies war ein Haus, das nicht in erster Linie von hohen Verkaufszahlen träumte; hier waren Idealisten am Werk, die Texte von Autoren verlegten, wenn sie ihnen gefielen.
Mir bleibt noch zu bemerken, dass der AAVAA-Verlag nicht mehr existiert. Er wurde übernommen von der Eisermann – Gruppe aus Bremen; sie übernahmen auch meine Verträge, die ich ursprünglich mit AAVAA geschlossen hatte. Sie gibt es nun meine Bücher „Die Hallen der Unendlichkeit“, „Kung – Fu – Toby“, „Karpatenvirus“ und „Eiskaltgrau“ beim XOXO-Verlag.
Ich habe den nächsten Schritt gemacht: Ich ging unter die selfpublisher. Bei neobooks.com erschienen zwei meiner weiteren Romane: „Der Fluch des schwarzen Fredrik“ und „Tod eines Chamäleons“.
Diesen Artikel habe ich – zumindest vorläufig – beendet im Dezember 2020. Ich bin auf die weitere Entwicklung gespannt, so es denn eine für den Schreiberling Herbert H. T. Osenger geben wird.